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Das Verfahren G1/16 zu "Disclaimern" vor dem Europäischen Patentamt

Die Große Beschwerdekammer wird sich im Verfahren 1/16 mit Disclaimern beschäftigen, also der Möglichkeit, bestimmte Merkmale, die nicht in der ursprünglichen Anmeldung enthalten sind, negativ auszuklammern, sprich zu „disclaimen“.

 

Disclaimer, welche insbesondere auf dem Gebiet der Chemie und Biochemie sowie im Pharmabereich eine große Rolle spielen, waren bereits Gegenstand zweier Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer, nämlich der Entscheidungen G1/03 und G2/10.

 

Insbesondere die Entscheidung G1/03 ist bemerkenswert, steht diese doch in logischem Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechungslinie des Europäischen Patentamts, welche eine strikte Auffassung hinsichtlich der Möglichkeiten von Änderungen europäischer Anmeldungen und Patente propagiert.

 

Diese Rechtsprechungspraxis kann als Versuch gewertet werden, die Auswahlerfindung und die Offenbarung logisch in Einklang zu bringen und so quasi die Prüfungspraxis auf axiomatisch saubere Beine zu stellen, ähnlich wie es Hilbert in seinem Hilbertprogramm in den 1920er Jahren für die Mathematik versuchte.

 

Die Entscheidung G1/03, welche die Möglichkeit erlaubte, nicht ursprünglich offenbarte Disclaimer in den Anspruch aufzunehmen, war und ist hier die große Ausnahme und es überraschte nicht, dass die Beschwerdekammern mehrere Versuche unternommen haben, diese Entscheidung im Nachhinein wieder aufzuheben.

 

Ein besonders erfolgreicher Versuch stellt sicherlich die G2/10 dar, demgemäß es erlaubt ist, positiv formulierte Merkmale negativ zu „disclaimen“ – was praktisch vielleicht überraschend ist, logisch jedoch nicht im Widerspruch zur axiomatischen Linie der Beschwerdekammern steht. Allerdings wurde die frühere Entscheidung G1/03 in dieser Entscheidung nicht endgültig als nicht mehr gültig bezeichnet.

 

Dies nachzuholen ist die Ratio der Vorlagefragen in der Entscheidung T 417/14 vom 17. Oktober diesen Jahres (genaueres hier), denn der Großen Beschwerdekammer wurden mehrere derartige Fragen gestellt, darunter explizit die Frage, ob die G1/03 aufgeboben („set aside“) würde.

 

Das Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer wurde vor wenigen Tagen unter der Nummer G1/16 eröffnet, wobei eine Entscheidung aber wohl nicht vor Ende 2017 zu erwarten ist.

Angesichts der bekannten Haltung insbesondere der Beschwerdekammern, wäre es jedoch keine Überraschung, wenn die Entscheidung G1/03, die bête noire der Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer, endgültig ad acta gelegt würde.

 

Dies würde wiederum die Möglichkeiten von Patentinhabern weiter einschränken und die ohnehin schon hohen Anforderungen an die Qualität der Ausarbeitung von Patentanmeldungen noch weiter erhöhen, will man nicht, wie z.B. im „Pemetrexed-Fall“ geschehen schwerwiegende Nachteile erleiden.


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