Das Gerichtssystem wird in erster Instanz aus mehreren Lokal- und Regionalkammern („local/regional divisons“) sowie aus der auf München, London und Paris aufgeteilten Zentralkammer („central chamber“) bestehen, deren Zuständigkeiten unterschiedlich bemessen sind. Ferner sind auch die Kammern unterschiedlich mit rechtskundigen („J“) und technischen („T“) Richtern besetzt.
Die endgültige Zahl der Lokal- und Regionalkammern sowie die Sprachen, die diese akzeptieren, ist noch nicht endgültig festgelegt; unser Kenntnisstand ist der folgende:
1 Die Kammer kann beschließen, bei Einreichung einer Widerklage auf Nichtigkeit diese oder mit Zustimmung der Parteien das ganze Verfahren an die Zentralkammer abzugeben, womit aber nur in seltenen Fällen gerechnet wird.
2 Ein technischer Richter kann auf Antrag einer Partei oder Beschluss der Kammer hinzugezogen werden. Er muss bei Einreichung einer Widerklage hinzugezogen werden.
3 2/1 bedeutet: zwei Richter aus dem jeweiligen Land (bzw. bei einer Regionalkammer aus den jeweiligen Ländern), ein Richter aus einem anderen Land. Für die Niederlande bzw. Großbritannien müssen die Verhältnisse noch festgelegt werden, da sich dies nach den Fallzahlen bei Inkrafttreten des Übereinkommens richtet. Wahrscheinlich werden es aber zwei nationale Richter sein. Bei allen anderen Ländern sind die Verhältnisse wohl klar.
4 Wird bei Eingang einer negativen Feststellungsklage innerhalb drei Monaten vor einer Lokal- oder Regionalkammer Verletzungsklage eingereicht, so wird die negative Feststellungsklage ausgesetzt und nur die Verletzungsklage wird fortgeführt. In seltenen Fällen kann die Zentralkammer auch für Verletzungsklagen zuständig werden.
5 Da Großbritannien dem Einheitspatentsystem nicht angehören wird, ist es wohl sehr wahrscheinlich, dass London als Sitz der Zentralkammer abgelöst wird bzw. für eine Übergangszeit die IPC-Klassen von London auf München oder Paris aufgeteilt werden.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird in diesem System wohl keine primäre Rolle spielen. Lediglich in Bereichen, in denen es eine EU-weite Gesetzesregelung gibt, ist eine Rolle des EuGH für Vorlagefragen vorgesehen (Durchsetzungsrichtlinie Biopatentrichtlinie, Verordnung zu Ergänzenden Schutzzertifikaten, Privilegierung klinischer Versuche unter der Arzneimittelrichtlinie, Wettbewerbsrichtlinie). Ob sich eine generelle Zuständigkeit des EuGH aufgrund der Einheitspatentverordnung oder sogar des TRIPS-Abkommens ergibt, ist zwar von einigen Kommentatoren vorgebracht worden, scheint aber weniger wahrscheinlich.
Wichtig ist, das bei Lokalkammern in einem Land, bei dem es im Durchschnitt vor oder nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens mehr als 50 neu eingereichte Verletzungsklagen pro Jahr gegeben hat oder geben wird, die jeweilige Kammer aus zwei Richter, die aus diesem Land stammen und einem Richter aus einem anderen Land zusammengesetzt ist, während es bei weniger als 50 Verletzungsklagen pro Jahr umgekehrt ist. Nur bei Regionalkammern gibt es zwei „nationale“ Richter, unabhängig von der Fallzahl.
Das Einheitspatentgericht wird Zuständigkeit für Einheitspatente sowie die „klassischen“ Bündelpatente erhalten, nicht jedoch für rein nationale Patente. In Bezug auf Bündelpatente kann innerhalb einer Übergangsfrist per „opt out“ die Zuständigkeit des Einheitspatentgerichts blockiert werden. Das Einheitspatentgericht wird ferner Zuständigkeit für ergänzende Schutzzertifikate haben, die auf Bündelpatenten oder später auch auf Einheitspatenten basieren. Ein „EU-SPC“, d.h. ein eigenes ergänzendes Schutzzertifikat auf Einheitspatente ist allerdings nicht vorgesehen, auch wenn dies vorgeschlagen wurde.
Wie aus obiger Tabelle ersichtlich ist, die Zentralkammer primär für isolierte Nichtigkeitsklagen zuständig, während die Lokal- und Regionalkammern für Verletzungsklagen zuständig sind, bei denen auch Widerklage auf Nichtigkeit möglich ist, so dass damit gerechnet wird, dass die meisten Verfahren vor den Lokal- und Regionalkammern verhandelt werden.
Allerdingskönnen letztere eine etwaige Widerklage auf Nichtigkeitdann entweder (a) mitverhandeln, (b) an die Zentralkammer verweisen und das Verletzungsverfahren aussetzen oder fortführen oder (c) den gesamten Fall mit Zustimmung der Parteien an die Zentralkammer verweisen. Fälle unter (b) oder (c) werden aber wohl die deutliche Ausnahme bleiben.
Ferner richtet sich die Zuständigkeit der lokalen und regionalen Gerichte nach (a) dem Ort der Verletzung oder (b) dem Sitz des Beklagten. In der Regel wird die Lokal- oder Regionalkammer, vor der geklagt wird, frei oder nahezu frei auswählbar sein
Das Einheitspatentgericht kann Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes erlassen, einschließlich Beschlagnahme von Beweismitteln und Besichtigungen sowie einstweilige Verfügungen. Ferner wird es die Möglichkeit geben, Schutzschriften zur Abwendung solcher einstweiligen Maßnahmen einzureichen.
Um als Partei in einem Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht auftreten zu können, ist die Vertretung durch einen Anwalt erforderlich. Vertretungsberechtigt sind alle Rechtsanwälte, die bei einem Gericht eines Vertragsmitgliedsstaates zugelassen sind. Außerdem können sich die Parteien durch Patentanwälte vertreten lassen, die vor dem Europäischen Patentamt zugelassen sind und darüber hinaus einen Qualifizierungsnachweise zum Tätigwerden vor dem Einheitlichen Patentgericht erbracht haben. Patentanwälten, die vor dem Einheitlichen Patentgericht nicht vertretungsberechtigt sind, ist nach Maßgabe der Verfahrensordnung das Wort zu gestatten.
Für das „opt-out“ gelten Sonderregelungen.
Q: Kann sich ein Unternehmen, ähnlich wie beim Europäischen Patentamt, von einem Angestellten, z.B. aus der Patentabteilung, vertreten lassen?
A: Nein, ein Angestelltenverhältnis bei der Partei alleine genügt nicht. Ein Vertreter benötigt immer eine Vertretungsbefugnis als Rechtsanwalt oder als Vertreter vor dem Europäischen Patentamt, der für das Einheitliche Patentgericht qualifiziert ist. Ob somit angestellte Syndikusrechts- oder patentanwälte vor dem Einheitlichen Patentgericht auftreten dürfen, ist allerdings nicht vollständig geklärt, auch wenn dies weitgehend angenommen wird. Unsere Kanzlei wird in der Lage sein, Sie vor dem Einheitlichen Patentgericht bei allen Verfahren zu vertreten.
Q: Müssen sich die Parteien einen Rechtsanwalt und einen Patentanwalt nehmen?
A: Nein, ein einziger Vertreter genügt lt. Übereinkommen. Dieser kann ein Rechtsanwalt oder ein Patentanwalt sein. Gleichwohl mag die Führung eines Verfahrens vor dem Einheitlichen Patentgericht mit Hilfe eines Rechtsanwalts und eines Patentanwalts zusammen empfehlenswert sein, insbesondere bei komplexen und technisch anspruchsvollen Fällen. Unsere Kanzlei verfügt über ein lang eingeführtes Netzwerk mit ausgezeichneten, auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes spezialisierten Rechtsanwaltskanzleien.
Q: Wie sieht das mit der Kostenerstattung aus?
A: Vor dem Einheitlichen Patentgericht existiert das Prinzip der Kostenerstattung, d.h. dass der Verlierer die Anwaltskosten des Gewinners zu tragen hat. Dabei können sowohl Rechtsanwalts- wie Patentanwaltskosten geltend gemacht werden. Allerdings existiert vor dem Einheitlichen Patentgericht neben der Möglichkeit, dass das Gericht die Kosten aufteilt – so wie dies ja auch aus den deutschen Verfahren bekannt ist – auch die Möglichkeit, dass das Gericht exzessive Kosten der Gewinnerpartei nur zum Teil als erstattungsfähig erachtet. Es existiert eine Art streitwertabhängiger „Kostendeckel“ dieser ist jedoch relativ hoch angesetzt und nur als absolute Obergrenze intendiert. Ob und wie das Einheitliche Patentgericht mit der Kostenerstattung umgeht, bleibt abzuwarten.
Q: Ist ein Patentinhaber als Partei an den Vertreter gebunden, der das Prüfungserfahren vor dem Europäischen Patentamt geführt hat?
A: Nein, das Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht ist unabhängig von dem Verfahren vor dem Europäischen Patentamt. Insbesondere kann es auch sein, dass der Vertreter, der das Prüfungserfahren vor dem Europäischen Patentamt geführt hat, vor dem Einheitlichen Patentgericht gar nicht zugelassen ist.