Einheitspatent und Einheitliches Patentgericht

Grundlagen

Wie kam es zum Einheitspatent?

Derzeit erteilt das Europäische Patentamt für die beteiligten Vertragsstaaten europäische Patente, die nach der Erteilung in ein Bündel nationaler Patente („Bündel-Patent“) zerfallen und in dem jeweiligen Vertragsstaat einem national erteilten Patent gleich stehen. Wenn innerhalb des europäischen Binnenmarkts eine europaweite Patentverletzung erfolgt, ist der Patentinhaber grundsätzlich gehalten, in jeden einzelnen Vertragsstaat eine separate Patentverletzungsklage einzuleiten. Dies ist sowohl für den Patentinhaber als auch für den vermeintlichen Verletzer mit entsprechend hohen Rechtsverfolgungskosten verbunden. Darüber hinaus sind auch noch inhaltlich unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen möglich, so dass in dem einen Teil der EU ein Produkt verboten wäre und in einem anderen Teil nicht. Diese Situation wurde zunehmend als unbefriedigend empfunden. 

Zur Lösung dieser Situation wurden mehrere Anläufe unternommen, unter anderem wurde auf EU-Ebene zunächst versucht vergleichbar zur EU-Gemeinschaftsmarke und dem EU-Gemeinschaftsdesign ein EU-Gemeinschaftspatent zu schaffen. Die entsprechenden Gesetzesvorhaben wurden jedoch nie ausreichend ratifiziert. Ein wichtiges Gegenargument war dabei, dass zu dem erfolgreich tätigen Europäischen Patentamt kein paralleles EU-Patentamt geschaffen werden sollte, wodurch eine wünschenswerte europaweite Harmonisierung im Patentwesen beeinträchtigt werden könnte.

 

Daher wurde nun ein anderer Ansatz gewählt, bei dem das Europäische Patentamt mit einbezogen wird. Hierbei wurde von der im hierfür geltenden Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, dass das Europäische Patentamt auch für eine Gruppe von Vertragsstaaten ein einheitliches Patent erteilen kann (Art. 142 EPÜ). Da sämtliche EU-Staaten auch Mitgliedsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens sind, wurde zunächst beabsichtigt, mittels des Europäischen Patentamt ein einheitliches EU-Patent für die gesamte EU zu erteilen. Da aber die EU-Staaten Spanien und Italien diese Initiative blockiert hatten, wurde dieses Vorgehen ohne Spanien und Italien im Rahmen der in der EU neu geschaffenen Möglichkeit der „verstärkten Zusammenarbeit“ mit den übrigen EU-Staaten vorangetrieben. Hierzu wurden einerseits die Grundlagen für das vom Europäischen Patentamt für die Vertragsstaaten der verstärkten Zusammenarbeit zu erteilende nun als „Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung“ bezeichnete „Einheitspatent“ (EU-Verordnung Nr. 1257/2012) und ein anzuwendendes Übersetzungsregime (EU-Verordnung Nr. 1260/2012) geschaffen sowie auch ein für die Vertragsstaaten dieser verstärkten Zusammenarbeit einheitliches gemeinsames Patentgerichtssystem (Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht) vereinbart. Italien hat übrigens inzwischen seine Meinung geändert und ist dem Einheitspatentsystem beigetreten.

 

Das Inkrafttreten des Einheitspatents hängt nun von der ausreichenden Ratifizierung des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht ab, welches im Folgenden auch einfach „Übereinkommen“ genannt werden wird. Parallel werden bereits die Strukturen für das Patentgerichtssystem vorbereitet und der rechtliche und finanzielle Rahmen konkretisiert.

Nach derzeitigem Stand werden dem Einheitspatentsystem folgende Staaten angehören: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich,  Italien, Lettland, Litauen. Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal und Schweden.

 

Was ist das Einheitspatent?

Das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“) ist ein vom Europäischen Patentamt mit Wirkung für alle Mitgliedsstaaten des Übereinkommens erteiltes Patent. Es hat für sämtliche erfasste Staaten die gleiche Wirkung, so dass in einem einzigen Gerichtsverfahren für alle diese Staaten eine gemeinsame einheitliche Gerichtsentscheidung getroffen werden kann. Dies gilt sowohl für die Frage, ob eine Patentverletzung vorliegt, als auch für die Frage, inwieweit das Einheitspatent zu Recht erteilt wurde und rechtsbeständig ist. Der Schutzbereich des Einheitspatents wird bezüglich einer bestimmten vermeintlichen Verletzungshandlung in einem einzigen Gerichtsverfahren ausgelegt und auf alle von dem Einheitspatent erfasste EU-Staaten gleichzeitig und ohne nationale Abweichungen angewendet. Dadurch wird ein einzelner Rechtstitel verliehen, der in allen vom Einheitspatent erfassten EU-Staaten vollstreckt werden kann (vgl. auch EU-Verordnung Nr. 1215/2012 „Brüssel Ia“).

 

Was sind die Vorteile des Einheitspatents?

Für das Einheitspatent fällt mit Wirkung für alle von dem Einheitspatent erfassen EU-Staaten jährlich nur eine einzige Jahresgebühr an. Dadurch entfällt der Verwaltungsaufwand, in unterschiedlichen Staaten jeweils unterschiedlich hohe Jahresgebühren zu gegebenenfalls unterschiedlichen Terminen entrichten zu müssen.

Außerdem kann das Einheitspatent mit nur einer einzigen Handlung in Kraft gesetzt werden, anders als bei bisherigen (Bündel-)Patenten, wo in jedem Land einzeln validiert werden muss.

 

Vermeintliche Verletzungshandlungen in von dem europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“) erfassten EU-Staaten können in einem einzigen Gerichtsverfahren gerichtlich verfolgt werden, ohne dass es erforderlich ist in jedem einzelnen EU-Staat ein Klageverfahren einzuleiten. Dadurch können die Rechtsverfolgung und die Rechtsverfolgungskosten auf ein einziges Verfahren konzentriert werden. Sich widersprechende Gerichtsentscheidungen für unterschiedliche Staaten werden vermieden.

 

Durch die einheitliche Wirkung des Einheitspatents wird eine Harmonisierung des Patentschutzes erreicht. Dadurch ist es nicht mehr erforderlich, eine für jeden von dem Einheitspatent erfassten EU-Staat eine nationale Besonderheiten, insbesondere bezüglich einer Verletzung im Äquivalenzbereich, berücksichtigende separate Begutachtung des Schutzbereichs vorzunehmen. 

 

Was sind die Nachteile des Einheitspatents?

Das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“) kann in einem einzigen Gerichtsverfahren zentral mit Wirkung für sämtliche von dem Einheitspatent erfassten EU-Staaten beschränkt oder vernichtet werden, auch wenn lediglich nur in einem Teil dieser EU-Staaten über einen vermeintlichen Verletzungstatbestand entschieden werden soll. Dadurch ist dem Patentinhaber die Möglichkeit genommen, in einem anderen EU-Staat bei einer anderen vermeintlichen Verletzungshandlung eine andere Beschränkungsstrategie zu wählen.

 

Zudem ist die Strategie nicht mehr möglich bei einer europaweiten vermeintlichen Patentverletzung einen auf Deutschland beschränkten kostengünstigen Pilotprozess zu führen und sich auf Basis dieses Gerichtsverfahrens für ganz Europa zu vergleichen. Stattdessen müssten die streitwertbasierten Kosten des zugehörigen Gerichtsverfahrens automatisch auf Basis der jeweiligen addierten Streitwerte in sämtlichen von dem Einheitspatent erfassten EU-Staaten berechnet werden.

 

Auf das Einheitspatent kann nur als Ganzes verzichtet werden. Das selektive Aussortieren einzelner von dem Einheitspatent erfasster EU-Staaten, beispielsweise um durch eine Reduzierung des Schutzterritoriums Jahresgebühren zu sparen, ist nicht möglich. 

Wie erhält man ein Einheitspatent?

Der Patentanmelder startet in der bisher üblichen Art und Weise beim Europäischen Patentamt ein Patentanmeldeverfahren. Wenn das Europäische Patentamt die Patenterteilung beschließt, kann der Patentanmelder beantragen, dass anstelle jeweils separater (Bündel-)Patente für die von dem europäische Patent mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“) erfassten EU-Staaten das für diese EU-Staaten gemeinsame Einheitspatent erteilt wird. Dies wird in einem vom Europäischen Patentamt geführten Register eingetragen.

 

Wie hoch sind die Kosten des Einheitspatents?

Bis zur Erteilung des europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“) fallen für das Einheitspatent die gleichen Kosten wie für ein herkömmliches europäisches (Bündel-)Patent an. Da für das in der Verfahrenssprache vor dem Europäischen Patentamt erteilte Einheitspatent keine weiteren Übersetzungen der Patentschrift vorgesehen sind, können gegebenenfalls im Vergleich zu einem herkömmlichen europäischen (Bündel-)Patent Übersetzungskosten zur Erfüllung nationaler Erfordernisse der relevanten Vertragsstaaten eingespart werden. 

 

Lediglich für einen Übergangszeitraum von maximal 12 Jahren ist bis zum Vorliegen qualitativ ausreichend hoher Computerübersetzungsmöglichkeiten eine Übersetzung des Einheitspatents in eine weitere Sprache erforderlich, die Amtssprache der EU ist, sofern das Einheitspatent in Englisch erteilt wurde. Ansonsten ist eine Übersetzung auch des Anmeldetextes in Englisch einzureichen.

 

Die jährlich anfallenden Jahresgebühren für die Aufrechterhaltung des Einheitspatents sollen nach der Erteilung im Wesentlichen den Jahresgebühren entsprechen, die für die vier Vertragsstaaten anfallen würden, für die am häufigsten das europäische (Bündel-)Patent Wirkung entfaltet („validiert wird“). Beispielsweise sind für die Jahresgebühren des Einheitspatents zur Zeit 35€ für das zweite Patentjahr, 1.175€ für das zehnte Patentjahr und 4.855€ für das zwanzigste Patentjahr vorgesehen.

 

Welchen Schutz bietet das Einheitspatent?

Das Einheitspatent bietet denselben Schutz wie ein bisheriges (Bündel-)Patent, welches vor dem Europäischen Patentamt erteilt wurde. Der einzige Unterschied ist, dass das Einheitspatent zwingend vor dem Einheitlichen Patentgericht verhandelt wird, während es für eine Übergangszeit für bisherige europäische (Bündel-)Patente die Möglichkeit gibt, ein „opt out“ eintragen zu lassen, d.h. dann würden die nationalen Verletzungsgerichte zuständig.

Ob und wie das Einheitliche Patentgericht in seiner Urteilspraxis von der bisherigen Praxis z.B. der deutschen Gerichte abweichen wird, bleibt dabei abzuwarten. Dies ist schwer abzuschätzen, zumal sich ja auch die Rechtsprechung der deutschen Gerichte im Fluss befindet.